Kreisgruppe Bielefeld
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BUND: Kein Bedarf für Fernwasserpipeline

04. Oktober 2024 | BUND, Flüsse & Gewässer, Nachhaltigkeit

Ausschuss für Umwelt und Klimaschutz diskutiert Pläne für Fernwasserleitung und Entwurf für ein Wasserversorgungskonzept – Prognosen stützen sich auf zweifelhafte Szenarien, nicht auf Fakten

Wassergewinnung der Stadtwerke Bielefeld im Furlbachtal. Foto: BUND

Bielefeld, 4.10.2024 | Am 1. Oktober erörterte der Umweltausschuss in einer weiteren Sitzung die Pläne für den Bau einer Fernwasserpipeline, mit der künftig eine Menge von mindestens 2,5 Mio. m³ Trinkwasser jährlich aus Ruhrwasserwerken nach Bielefeld transportiert werden soll. Fachleute der Stadtwerke und des Umweltamtes versuchten fast zwei Stunden lang, kritische Fragen der Politiker*innen zu beantworten und diese für die Pläne zu gewinnen. Das gelang erneut nicht. Bei nur einer Gegenstimme wurde die „2. Lesung“ beschlossen, d.h. ein Beschluss wurde vertagt.   

Im Mittelpunkt der Debatte standen Fragen zum künftigen Trinkwasserbedarf und der Notwendigkeit einer solchen Fernwasserpipeline. Das Ergebnis der Antworten ist eindeutig: Die Pläne stützen sich auf ausgesprochen fragwürdige Prognosen, nach denen mit einem möglichen Mehrbedarf bis 2050 von bis zu 6,8 Mio. m³ Trinkwasser, also einer möglichen Zunahme um 36 %  zu rechnen sei. Das Wasserversorgungskonzept geht von einem Gesamtzeitraum bis 2050 aus. Eine Grafik, die wir hier beifügen, stellt eine mögliche Zunahme um über 20 % bzw. über 4 Mio m³/a aber schon bis 2030 dar. Deshalb müsse bis 2030 die geplante Fernwasserleitung den Betrieb aufnehmen. 

Ausschussmitglieder fragten nach Zahlen, Daten und Fakten, die diesen Bedarf belegen. Die Antworten der Experten waren eindeutig: Es handele sich „nur um eine Prognose“, so Adam Marek vom Umweltamt. „Mit konkreten, gesicherten Daten lassen sich solche Prognosen nicht belegen“.

Noch klarer äußerte sich Nils Neusel-Lange, Geschäftsführer Netze bei den Stadtwerken: „6,8 Mio. m³/a werden wir sicher nicht zusätzlich verkaufen. Ich wüsste nicht, wofür so viel Wasser benötigt werden könnte. Wir prognostizieren keine Deckungslücke von 6,8 Mio. m³ Wasser, wir stellen uns nur auf ein eventuell mögliches Worst-Case-Szenario ein.“ 

Erfordert mögliches Worst-Case-Szenario eine Reserve von plus 36 %?

Adam Marek vom Umweltamt verwies zu dieser Frage auf die extrem trockene Periode 2018 - 2022 mit Rückgängen der Grundwasser-Stände und einem erhöhten Wasserbedarf.  Der Pro-Kopf-Verbrauch habe in dieser Zeit von 119 auf 124 Liter zugenommen, u.a. durch Mehrbedarf für Gartenbewässerung und das Befüllen von Pools (allein dafür würden einmalig 10 - 15 m³ benötigt). „Auf solche Extremphasen müssen wir vorbereitet sein“, sagte er. „Bis 2017 hatten wir sogar viel zu viel Wasser, Wasserwerke mussten geschlossen werden. Wir müssen aber Klimaextreme berücksichtigen: 2018/19 gab es einen Sommer mit über 30 Grad/C und monatelang kaum Niederschläge. Um solche Phasen zu überstehen, ist ein Puffer nötig“. Dazu könne auch der Ausfall von Wasserwerken beitragen, darauf müsse man vorbereitet sein. Vor vier Jahren habe man z.B. das Wasserwerk Ummeln und ein Wasserwerk in Sennestadt schließen und die Förderung von Brunnen zurückfahren müssen.

Stilllegung von Wasserwerken als Teil von Worst-Case-Szenarien?

Als besonderes Risiko und bei Worst-Case-Szenarien zu berücksichtigen wurde von den Vertretern der Stadtwerke und des Umweltamtes die Gefahr des Ausfalls von Wasserwerken an die Wand gemalt. So könnten Wasserwerke auf dem Truppenübungsplatz ausfallen und dann evtl. aufgrund der militärischen Nutzung für notwendige Reparaturen nicht erreichbar sein. Damit könnte ein erheblicher Teil der Bielefelder Wasserversorgung zeitweise ausfallen. Der BUND weist dazu darauf hin, dass die Nutzung der Wasserwerke auf dem Truppenübungsplatz durch langfristige Verträge mit dem Eigentümer und der britischen Platzverwaltung einschließlich des Betretungsrechts gesichert ist. Dass diese bei technischen Problemen nicht erreichbar sein könnten, ist extrem unwahrscheinlich.

Völlig absurd sind die Erzählungen von angeblichen Risiken durch Katastrophen-Hochwässer, die  Wasserwerke außer Betrieb setzen könnten. Dazu skizierte Wasserexperte Olaf Kulaczewski von den Stadtwerken folgendes Szenario: „Dass durch ein Katastrophen-Hochwasser ein Wasserwerk ausfallen kann ist nicht abwegig. Nach einem Starkregen haben sich 2023 zeitweise Wiesen am Haustenbach auf dem Truppenübungsplatz Senne in eine Seenlandschaft verwandelt. Aus Sicherheitsgründen musste die Wasserförderung in einem Wasserwerk gedrosselt werden“.

Der BUND beurteilt diese Gefahr gänzlich anders. Reale Gefahren für die Senne-Wasserwerke gehen dort von den Oberläufen der sehr kleinen Bachläufe nicht aus. Wenn mal Wasser auf den Wiesen steht (wie erwähnt), ist es nach wenigen Tagen wieder abgeflossen oder versickert. Im Unterschied übrigens zu den Wasserwerken in der Ruhraue, die künftig Wasser nach Bielefeld liefern sollen. Wenn dort, was nicht selten vorkommt, die Aue unter Wasser steht, müssen die Wasserwerke runtergefahren werden. Und Katastrophenhochwässer können dort Wasserwerke direkt unter Wasser setzen und so zu längerfristigen Stilllegungen führen.

Zweifelhafte Bedarfsprognosen und Szenarien rechtfertigen Bau einer Fernwasserleitung nicht

Fest steht jetzt: Weder Stadtwerke noch Umweltamt rechnen real damit, dass jemals eine zusätzliche Wassermenge von 6,8 Mio. m³/Jahr benötigt wird. Zahlen, Daten und Fakten belegen diesen Bedarf nicht. Die Begründung stützt sich auf eingerechnete doppelte bis dreifache Sicherheitszuschläge für extrem unwahrscheinliche Worst-Case-Szenarien. Damit soll eine kostenträchtige Fernwasserpipeline durchgesetzt werden, die gar nicht dafür da ist, in solchen Krisenzeiten an eventuell nur wenigen Tagen im Jahr einzuspringen. Denn durch diese Leitung sollen konstant mindestens 2,5 bis 4 Mio. m³ Wasser jährlich fließen. Was dazu führen würde, dass weitere ergiebige eigene Brunnen stillgelegt und die eigenen Wassergewinnung nicht weiter ausgebaut wird. Wie es bis 2017 durch Stilllegung von Wasserwerken geschehen ist, „weil wir viel zu viel Wasser hatten“ (Adam Marek).

Der BUND sieht darin einen Verstoß gegen die gesetzlichen Vorgaben und die Nationale Wasserstrategie, wonach für die Wasserversorgung vorrangig örtliche Ressourcen genutzt und ausgebaut werden müssen. Dies Ausbaupotenziale beziffern die Stadtwerke selbst mit 4,8 Mio. m³/a. Diese bei Bedarf auszuschöpfen muss Vorrang vor einem Fernwasserbezug haben.   

Was würde passieren, wenn auf die Fernwasserleitung verzichtet wird?

Nach dem zuvor Gesagten hätte die Antwort auf diese Frage eines Ausschussmitglieds ganz einfach beantwortet werden können mit „Nichts, die Wasserversorgung wäre nicht gefährdet. Wir müssen dann nur unsere eigenen Reserven nutzen“.  Doch Olaf Kulasczewsk antwortet für die Stadtwerke anders: „Das würde den Druck auf die Genehmigungsbehörde erhöhen, Genehmigungen unter Inkaufnahme von Nutzungskonflikten u.a. mit dem Natur- und Landschaftsschutz zu erteilen“. Dazu unser Kommentar:  Wasserrechte, die solche Nutzungskonflikte beinhalten könnten, würde die Bezirksregierung nicht genehmigen. Das lassen die Wassergesetze nicht zu. Für die Nutzung der von den Stadtwerken identifizierten Reserven von 4,8 Mio m³/a unter anderem durch ein neues Wasserwerk im Bereich Furlbach und ein neues Wasserwerk in Ummeln (an Stelle des stillgelegten) sind solche Nutzungskonflikte überhaupt nicht relevant.  

Möglichkeiten des Wassersparens bleiben unberücksichtigt

Die Stadtwerke selbst verweisen im Entwurf des Wasserversorgungskonzepts darauf, dass ihre Prognose auf Grundlage eines Merkblattes der Bezirksregierung zur Erstellung von Wasserbedarfsprognosen erstellt wurde. Ausschussmitglieder fragten dazu konkret nach: „Die Erstellung der Prognose erfordert nach dem Merkblatt der Bezirksregierung detaillierte Angaben, die im Wasserversorgungskonzept fehlen. Zum Beispiel wird dort die Darstellung von Maßnahmen zur Senkung des Pro-Kopf-Verbrauches gefordert“. Das zu beschreiben sei nicht Aufgabe des Wasserversorgungskonzeptes, behauptete dazu Nils Neusel-Lange. Umweltdezernent Martin Adamski fügte hinzu: Wenn das gewünscht werde, könne man das Konzept dazu aber gerne noch ergänzen und Darlegungen dazu bis zur nächsten Sitzung vorlegen.

Der BUND hat in seinen dem Ausschuss zugesandten Stellungnahmen diese Berücksichtigung gefordert und dazu konkrete Vorschläge wie z.B. die Einführung einer Wasserampel vorgelegt. Im § 50, Absatz 3 des Wasserhaushaltsgesetzes heißt es dazu eindeutig: „Die Träger der öffentlichen Wasserversorgung wirken auf einen sorgsamen Umgang mit Wasser hin. Sie halten insbesondere die Wasserverluste in ihren Einrichtungen gering“. Und das erwähnte Merkblatt macht eine klare Vorgabe: „Entsprechend des gesetzlichen Auftrags sind Maßnahmen zur Senkung des Pro-Kopf-Verbrauchs darzustellen“.

Ausschöpfung der Wasserrechte?

Für alle Wassergewinnungsanlagen müssen von der Bezirksregierung Wasserrechte genehmigt werden. Für die Formulierung einer Prognose spielt der Grad der Ausschöpfung der Wasserrechte eine wichtige Rolle. Dazu sagte Adam Marek von Umweltamt: „Bei Berechnung der Prognose können die Wasserrechte laut Merkblatt in der Version 1/2020 nur bis 90 % ausgeschöpft werden“. Das löste in der Sitzung spontane Zwischenrufe von Zuhörern aus. Völlig zu Recht, denn im Merkblatt heißt es: „Die Jahreswassermengen der erteilten / beantragten Wasserrechte sind mit einem realistischen Nutzungsgrad einzurechnen; ein Nutzungsgrad von 95 Prozent wird ohne gesonderten Nachweis akzeptiert“.

Wenn also in der Berechnung der Prognose statt 90 %, wie es offenbar die Stadtwerke gemacht haben, 95 % Ausschöpfung zu Grunde gelegt werden, steht bei Gesamtwasserechten in Höhe von 22,3 Mio m³/a eine Menge von 1,1 Mio m³/a mehr als Reserve zur Verfügung. Übrigens: Bei der von den Stadtwerken und dem Umweltamt beschriebenen Worst-Case-Phase 2018-2022 mit extremer Trockenheit, erhöhtem Wasserbedarf und Ausfall von Wasserwerken (Wasserwerk in Sennestadt und Ummeln vor 4 Jahren wie in der Sitzung berichtet) wurden die Wasserrechte nur zu maximal 88,9 ausgeschöpft. Selbst in dieser von Wassermangel geprägten Trockenphase gab es an keinem Tag Probleme mit der Versorgungssicherheit, gab es noch erhebliche Reserven bei den Wasserrechten, musste nicht zum Wassersparen aufgerufen werden. Es gab in der Zeit sinkende Grundwasserstände, aber selbst die Stadtwerke veröffentlichen in ihrem Wasserversorgungskonzept die Daten des LANUV, nach denen bis 2060 im eigenen Einzugsgebiet trotz Klimawandel mit einer Zunahme der Grundwasserneubildung zu rechnen ist. 

Insgesamt stieg der Wasserbedarf in den letzten 10 Jahren - trotz lange Trockenphase - nur um 3,1 %. Nach den Prognosen der Stadtwerke wird jetzt eine Steigerung in den nächsten 8 Jahren um 36 % für möglich gehalten. Darauf wird die Notwendigkeit einer Fernwasserlieferung von Wasser der Ruhr gestützt. Will die Stadt ernsthaft Millionen in ein solch zweifelhaftes Projekt investieren?   

Entwicklung der Wasserversorgung 2015-2023 (PDF)

Entwicklung Pro-Kopf-Verbrauch BRD (JPG)

Geplante Fernwasserleitungen der Gelsenwasser AG (JPG)

Merkblatt der Bezirksregierung zur Ermittlung von Wasserbedarfsprognosen (PDF)

Prognosen der Grundwasserneubildung bis 2060 positiv (PDF)

Prognose des Wasserbedarfs laut Wasserversorgungskonzept 2024 der Stadt Bielefeld (PDF)
 

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