Bielefeld 18.01.2022 | Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren, die Bedrohung durch den Klimawandel ist bedrückend. Die internationale Staatengemeinschaft ringt um einen Weg, das 1,5-Grad-Ziel doch noch zu erreichen. Mit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 sollten die Weichen entsprechend gestellt werden. Die EU und die Bundesrepublik Deutschland haben daraus ehrgeizige Ziele für die Reduktion der Treibhausgasemissionen abgeleitet. Das im letzten Jahr novellierte Klimaschutzgesetz gibt eine CO2-Einsparung von mindestens 65 % bis 2030 vor. Bielefeld hat im Juli 2019 den Klimanotstand ausgerufen. Am 23. September des letzten Jahres hat der Rat der Stadt als Zieljahr für das Erreichen von Klimaneutralität das Jahr 2035 festgelegt. Trotzdem müssen wir feststellen, dass an bestehenden Verkehrs- und Straßenplanungen festgehalten wird, ohne diese zu hinterfragen. Wir fragen Sie: Wie sollen diese absolut richtigen, aber sehr ehrgeizigen Klimaziele erreicht werden, wenn im alltäglichen Handeln von Verwaltung und Politik vor Ort weiter an uralten Planungen festgehalten wird, die zweifelsfrei die CO2-Emissionen erhöhen, statt sie zu senken? Welchen Sinn macht es, im Bielefelder „Hufeisen“ Maßnahmen zur Reduktion des Autoverkehrs einzuleiten, wenn zugleich mit dem Aus und Neubau von Fernstraßen dem Autoverkehr der Weg in die Innenstadt erleichtert wird? Die bescheidenen CO2-Einsparungen durch das Projekt „altstadt.raum“ werden durch den vierspurigen Neubau der Herforder Straße zusammen mit den Neubaumaßnahmen L712n und B61n (Ortsumgehung Ummeln) mit einen vielfachen CO2-Ausstoß ad absurdum geführt.
Die Verwaltungsvorlage zum geplanten Aus- bzw. Neubau der Herforder Straße (B 61) mutet an wie ein Papier aus vergangenen Zeiten. Dort ist euphemistisch von Ausbau die Rede. Geplant wird aber ein vierspuriger, autobahnähnlicher Neubauabschnitt neben der alten Trasse. Zur Erschließung der dortigen Häuser muss an der Westseite sogar zusätzlich eine neue Straße gebaut werden. Bis zur Fertigstellung dauert es mindestens bis 2026. Die Kosten: ca. 15,3 Millionen Euro allein für den 2 km langen Abschnitt vom Rabenhof bis zum Milser Krug. Massive Eingriffe in die schutzwürdige, als Naturschutzgebiet vorgesehene Johannisbachaue sind Bestandteil der Planungen. Der hier auch vorgesehene Radschnellweg Bielefeld-Herford wurde wegen fehlender politischer Beschlüsse über die Radschnellwegtrasse erst gar nicht einbezogen. Diese veraltete Planung passt nicht mehr zu den heute bekannten dramatischen Folgen des Klimawandels und der notwendigen Mobilitätswende.
Projekte zum Aus- oder Neubau von Fernstraßen werden zwar einer Umweltverträglichkeitsprüfung, bisher aber keiner Klimaverträglichkeitsprüfung unterzogen. Das Aktionsbündnis „Mut zur Verkehrswende“ hatte schon im April des vergangenen Jahres den NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst mit der Frage konfrontiert, warum für die alten Planungen keine Klimaverträglichkeitsprüfung nachgeholt werde. Der Minister ist eine Antwort schuldig geblieben. Auch in der Verwaltungsvorlage zur Herforder Straße wird an keiner Stelle die Klimaverträglichkeit oder besser Klimaunverträglichkeit dieser Planung angesprochen. Das ist auch kein Wunder, weil die bisher vorliegenden Verkehrsgutachten aufzeigen, dass die Planungen zu deutlichen Verkehrszuwächsen führen werden, nicht nur auf der L 712n und der Herforder Straße, sondern auch auf bereits vorhandenen Straßen. Auf der Altenhagener Straße zum Beispiel wird mit einem Zuwachs von bis zu 30% gerechnet. Diese Verkehrssteigerungen weisen eindeutig auf eine Klimaunverträglichkeit hin.
Der Rat der Stadt hat 2019 eine Mobilitätswende mit hochgesteckten Zielen beschlossen. Dazu passt absolut nicht, dass in den Neubau der Herforder Straße Millionen investiert werden, anstatt das Geld für Verkehrsprojekte zu nutzen, die nachweislich zu deutlichen CO2-Einsparungen beitragen. Bei der Verabschiedung des 3. Nahverkehrsplans wurde von Verwaltung und Politik darüber geklagt, dass nicht genügend Geld für den Ausbau des ÖPNV vorhanden sei, und gleichzeitig wird der Autoverkehr noch immer mit viel Geld gefördert, der dann auch noch dem ÖPNV die Kunden weg nimmt. Diese Argumentation gilt erst recht für den Neubau der L712n und der B61n (Ortsumgehung Ummeln), die noch weit größere Geldsummen verschlingen werden. Wenn erst einmal die Ortsumgehung Ummeln gebaut ist, ist es um die Verbesserung des ÖPNV im Korridor Bielefeld-Ummeln-Isselhorst-Gütersloh schlecht bestellt.
Wenn wir den drohenden Klimawandel ernst nehmen, müssen wir mit dem Aus- und Neubau von Fernstraßen Schluss machen. Wir bitten Sie eindringlich, die Planung für den Neubau der Herforder Straße zu stoppen. Das muss eine Kündigung des Vertrags einschließen, den die Stadt Bielefeld mit dem Landesbetrieb Straßen.NRW zum Neubau der Herforder Str. geschlossen hat. Auch die beiden Neubauprojekte L712n und B61n (Ortsumgehung Ummeln) gehören auf den Prüfstand. Wir dürfen keine Verkehrsprojekte mehr umsetzen, deren Klimaverträglichkeit nicht nachgewiesen ist. Wir sind gerne bereit, diese Problematik vertieft mit Ihnen und den zuständigen Fachleuten in der Verwaltung zu diskutieren.
Offener Brief an OB und Rat: Autobahnähnlichen Neubau der Herforder Straße stoppen (PDF)