Kreisgruppe Bielefeld
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Neues Gewerbegebiet: Widerspruch zu Natur-, Klima- und Landschaftssschutz

30. September 2021 | Bäume, BUND, Klimawandel, Landwirtschaft, Naturschutz, Lebensräume

Gemeinsame Stellungnahme von NABU, BUND und Pro Grün zum Bebauungsplans Nr. 1/S 68 „ Gewerbegebiet östlich Senner Straße

Der Hof Herbermann im Plangebiet ist von ca. 25 wertvollen alten Hofeichen Umgeben. Foto: BUND

Der Stadtentwicklungausschuss hat einen neuen Bebauungsplan für ein weiteres großes Gewerbegebiet in Senne mit der "Erstaufstellung" auf den Weg gebracht. Wir haben auf dieser Seite schon ausführlich mit vielen Bildern darüber berichtet. Jetzt haben der NABU-Stadtverband, die BUND-Kreisgruppe und Pro Grün ausführlich dazu Stellung genommen. Die Stellungnahme hat nachfolgenden Wortlaut.  

Stellungnahme der Naturschutzverbände zum B-Plan Gewerbegebiet Senner Straße (PDF) 

Belange von Natur-, Arten- und Landschaftsschutz berücksichtigen

Die Fläche ist aktuell als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen und wird geprägt durch naturnahe landwirtschaftliche Nutzungen. Im Gebiet dominieren noch ökologisch wertvolles Grünland und kleine Ackerflächen, aufgelockert durch Feldgehölze und alten Baumbestand. Ein Hof ist umgeben von z.T. sehr alten Hofeichen. Ein Gehölzstreifen im Süden ist laut Landschaftsplan Bielefeld-Senne als „Geschützter Landschaftsbestandteil“ geschützt. Insbesondere der wertvolle Alteichenbestand - mindestens 25 Eichen mit einem Umfang von ca. 150 cm bis ca. 260 cm (dokumentiert auf http://www.bielefelder-baeume.de/) hat eine unersetzliche ökologische Bedeutung. Ebenso schutzwürdig sind die Hecken- und Feldgehölze, kleine Bäche und Gräben, Feuchtwiesen und eine Streuobstwiese am Hof Herbermann (früher Hof Steinkröger) als Lebensräume für Pflanzen, Insekten und Tiere. Charakteristische Bewohner, die zum Teil auf der Roten Liste der gefährdeten Arten stehen, sind Feldhasen, zahlreiche Vogelarten und verschiedene Fledermausarten. Dieser Landschaftraum ist Teil einer zusammenhängenden Freiraumverbindung vom Teutoburger Wald über den Sennefriedhof in Richtung der Reiherbachniederung und dient dem Biotopverbund.

Das Gebiet ist ohne Zweifel insgesamt ökologisch wertvoll und erhaltenswert. Laut Zielkonzept Naturschutz gilt das Gebiet als für den Naturschutz wertvoller Landschaftsraum. Die Stadt Bielefeld ist dem Bündnis für Biologische Vielfalt beigetreten. Zu diesen Zielsetzungen und Verpflichtungen steht die weitere großflächige Bebauung und Versieglung eines für den Natur- und Artenschutz wertvollen Freiraums im Widerspruch.

Sollte der Bebauungsplan trotz grundsätzlicher Bedenken weiter verfolgt werden, sollte bei der Planung Folgendes berücksichtigt werden:

  1. Herausnahme des Bereiches rund um den Hof Herbermann mit den ökologisch wertvollen Gehölzbeständen und Biotopen aus dem Bebauungsplan-Gebiet.
    Dazu gehören: Der wertvolle Hofeichenbestand, die angrenzenden Feldgehölzstreifen, die besonders wertvolle rausgewachsene Hecke im Norden, die Streuobstwiese im Osten und das zwischen der Hofanlage und dem Geschützten Waldstreifen im Süden liegende Feuchtgebiet. Besonders das ca. 2 - 3 m unter Geländeniveau liegende Feuchtgebiet, das laut ersten Planskizzen für eine Komplettbebauung und evtl. sogar für eine Erschließungsstraße verfüllt werden soll, ist unbedingt erhaltenswert. Gegebenenfalls kann z.B. auch geprüft werden, ob diese Geländemulde bei einer möglichen Bebauung von Nachbarflächen als Versickerungsbereich und Rückhaltraum für Regenwasser genutzt werden kann.
     
  2. Sicherung des Geschützten Waldstreifens im Süden durch ausreichenden Abstand einer möglichen Bebauung. Der als „Geschützter Landschaftsbestandteil“ geschützte Waldstreifen ist aufgrund des Altbaumbestands, auch mit vielen abgängigen Bäumen und hohem Totholzanteil, für den Natur- und Artenschutz von besonderer Bedeutung. Würde wie im Gestaltungsplan vorgesehen bis an diesen Waldstreifen herangebaut, gäbe es schwerwiegende Verkehrssicherungsprobleme, die zu massiven Eingriffe zwingen könnten. Hier ist deshalb ein Abstand des Baugebietes von mindestens einer maximalen Baumfallhöhe, also von mindestens 50 Metern, zwingend notwendig.

Widerspruch zum Klimaanpassungskonzept und zum erklärten Klimanotstand der Stadt Bielefeld

Leider ist die Fläche schon seit längerer Zeit im Flächennutzungsplan und Regionalplan als mögliches Gewerbegebiet ausgewiesen. Aber seit dieser Ausweisung vor ca. 20 Jahren hat sich die Situation im Klima- und Artenschutz dramatisch verändert. Gerade die aktuelle Klimakrise und der vom Rat beschlossene Klimanotstand erfordern aus unserer Sicht eine Überprüfung aller Planungen, bei denen weitere Flächen versiegelt werden. Hochwasserkatastrophen haben deutlich gemacht, dass Niederschlagswasser möglichst an Ort und Stelle versickern sollte. Baumaßnahmen, die das Versickern von Wasser und die Grundwasseranreicherung verhindern, sind grundsätzlich fragwürdig. Zumal die Planungshinweiskarte der Stadt „Starkregenvorsorge und wassersensible Stadtentwicklung“ aus dem Klimaanpassungskonzept die Gefahrenlage klar verdeutlicht. Die Karte belegt, dass bei einem mit der Eifel bzw. dem Ahrtal vergleichbaren Regenereignis große Teile der Stadt überflutet werden könnten.

Das geplante Baugebiet steht auch im Widerspruch zum Klimaanpassungskonzept der Stadt. Die Klimaanalysekarten zeigen auf, dass dieser Bereich besonders mit den Gewerbeflächen im Westen schon überdurchschnittlich hoch belastet ist. Deshalb bewertet das Klimaanpassungskonzept das umliegende Gewerbegebiet Fabrikstraße und Enniskillener Straße als bebauten Bereich mit ungünstiger bis sehr ungünstiger thermischer Belastung, mit dem konkreten Hinweis: „Erhalt und Entwicklung von Grünflächen, Gebäudebegrünung, Baumpflanzungen, Anlage begrünter Mulden, Rigolen, Entsiegelung von Flächen, Flächenversickerung, Förderung von Kühleffekten durch Verdunstung“. Für die benachbarten Wohngebiete ist das Planungsbiet unverzichtbar, da es zum dringend erforderlichen Luftaustausch durch Kaltluftleitbahnen in Bezug auf die Hitzeentwicklung und die damit verbundenen Gesundheitsfolgen beiträgt. Die Grün- und Freiflächen sind existenziell für die Kaltluftlieferungen. Aus diesen Gründen hat der Umweltbericht zum Regionalplanentwurf zu diesem möglichen Gewerbegebiet festgestellt: Bezüglich Stadtklima sind bei einer möglichen Bebauung erhebliche Umweltauswirkungen zu erwarten.

Sollte der Bebauungsplan trotz grundsätzlicher Bedenken weiter verfolgt werden, sollten für den vorbeugenden Klimaschutz und als Klimaanpassungsmaßnahmen folgende Maßnahmen in den Plan aufgenommen bzw. festgesetzt werden:

  1. Festsetzung von Photovoltaikanlagen und Dachbegrünung für alle dafür geeigneten Dachflächen
  2. Vollständige Zurückhaltung des Niederschlagswassers im B-Plangebiet durch Versickerung und Zurückhaltung
  3. Festsetzung von versickerungsfähigen Belägen (Rasengittersteine o.ä. ) für alle ebendigen Parkflächen
  4. Erhalt der vorhandenen Baumbestände und Festsetzung von Schutzmaßnahmen bei den Bauarbeiten
  5. Beidseitige Baumpflanzungen entlang der Erschließungsstraßen
  6. Baumpflanzungen auf den ebenerdigen Parkflächen

Ungelöste Verkehrsprobleme – Kein Gewerbegebiet ohne Ausbau der Senner Straße bzw. Ausbau des dortigen Rad-Fußweges

Die Belastungen für die im Umfeld des geplanten Gewerbegebiets lebende Menschen sind bereits immens. Sie werden u.a. geprägt durch

  • große Versiegelungsflächen u.a. durch den Wertstoffhof und andere Firmen
  • kritischer Straßenzustand und Parkplatzsituation
  • anliefernde LKW, die bereits am Vorabend in der Fabrikstraße parken
  • laufende Klimaanlagen und keine sanitären Anlagen für die Fahrer
  • durchgängige Beleuchtung auch nachts
  • Nachtanlieferung, Arbeiten auch an Sonn- und Feiertagen
  • hohes Verkehrsaufkommen durch „Abkürzer“ zusätzlich zum Busverkehr

Diese Probleme würden durch das neue Gewerbegebiet verschärft. Die Anwohner weisen zu Recht besonders auf das damit verbundene höhere Verkehrsaufkommen hin, für das die Senner Straße nicht ausgebaut ist.

„Die Flächen können verkehrlich gut über die Senner Straße (K 17) und den Südring an das örtliche und überörtliche Verkehrsnetz angebunden werden“, .heißt es im Erläuterungsbericht. Leider kann aktuell vom einer “guten und sicheren“ Anbindung für alle Verkehrsteilnehmer nicht gesprochen werden! Die Senner Straße verfügt nur einseitig über einen schmalen, ca. 100-120 cm breiten gemeinsamen Rad-Fußweg, der für den beidseitigen Radverkehr vorgesehen ist. Dieser ist zur Straße hin nicht durch einen Grünstreifen abgetrennt. Die Senner Straße weist selbst über nur eher schmale Fahrstreifen auf, die etwa einer LKW-Breite entsprechen. Die dort verkehrenden Fahrzeuge halten nach Beobachtungen der Anwohner in der Regel den notwendigen Sicherheitsabstand zu den auf dem Radweg – teilweise im Begegnungsverkehr - verkehrenden Radfahrer*innen von mindestens 150 cm nicht ein. Denn dazu müssten sie die Gegenfahrbahn mit nutzen. Die Fahrbahnsituation mit dem ungeschützten Radweg vermittelt ihnen aber das Gefühl, dass sie im Vorbeifahren ihre Fahrbahn  komplett nutzen können. Sie könnten ohne Probleme für ihre Fahrzeuge sogar im Notfall auf den Radweg ausweichen, da dieser ja nicht abgetrennt ist.

Die Situation ist für alle Fußgänger und Radfahrer, die dort unterwegs sind, ohne Zweifel gefährlich. Besonders gefährdet sind die Schulkinder, die dort auf dem Weg ins Schulzentrum Senne unterwegs sind.

Wir verweisen dazu auf die Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO zu § 2 Absatz 4 Satz 2). Ein bestehender gemeinsamer Rad- Fußweg muss danach innerorts eine Mindestbreite von 2,50 m aufweisen. Zusätzlich muss ein Sicherheitstreifen zur Fahrbahn von mindestens 50 cm vorhanden sein. Neue gemeinsame Fuß-Radwege werden innerorts danach heute in der Regel mit einer Mindestbreite zwischen 2,70 m und 5,85 m gebaut. Nach diesen Vorgaben ist die aktuelle Ausweisung des Rad- Fußweges an der Senner Straße im Bereich des Gewerbegebiets rechtswidrig. Auch an den stadteinwärts verlaufenden Abschnitt der Senner Straße, die als Erschließungsstraße für dieses Gewerbegebiet genutzt werden soll, entsprechen die Radwege nicht dem gesetzlichen Standard. Auch hier ist der Ausbau der Radwege dringlich.

Voraussetzung für eine mögliche Ausweisung des neuen Gewerbegebietes an der Senner Straße muss deshalb ein vorheriger Ausbau der vorhandenen Rad-Fußwege sein. In einem möglichen Beschluss für die Ausweisung dieses Gewebegebiets muss der vorheriger Ausbau der Rad- Fußwege festgesetzt bzw. konkret mit eingeplant werden. Da Flächen für den Bau eines entsprechenden Rad-Fußweges westlich der Senner Straße nur begrenzt zur Verfügung stehen, ist die Neuanlage eines ausreichend breiten Rad-Fußweges östlich der Senner Straße unter Beanspruchung von Flächen im B-Plangebiet zu prüfen.

Vorlage einer Gesamtplanung für die künftige Siedlungs-und Gewerbeentwicklung im Bielefelder Süden

„Das verbliebene Flächenpotenzial östlich der Senner Straße ist aufgrund der weitgehenden gewerblichen Vorprägung gut für eine entsprechende Erschließung neuer Gewerbeflächen geeignet“, heißt es im Aufstellungsbeschluss.

Wenn dem gefolgt wird, könnte man auch formulieren: „Der gesamte Bielefelder Süden, besonders der Stadtbezirk Senne, ist aufgrund der industriellen und gewerblichen Vorprägung gut für weitere großflächige Gewerbegebiete geeignet“.

Wenn man dem also folgt, heißt das nichts anderes, als dass im Süden Bielefelds auch noch die wenigen erhaltenen Frei- und Naturflächen mit Gewerbe zugebaut werden können. Ist das das Entwicklungsziel für die Stadtbezirke Senne und Brackwede?

Wir sind grundlegend anderer Auffassung. Gerade, weil in diesem Bereich schon ein hoher Prozentsatz an Freiflächen bebaut und versiegelt ist, weil gerade der südliche Teil des Stadtbezirkes Senne schon einen hohen Flächenanteil von Industrie- und Gewerbeflächen aufweist, müssen die verblieben Freiflächen erhalten werden.

Zudem müssen bei dieser Entscheidung auch alle anderen Planungen im Stadtbezirk auf den Tisch. Denn mit dem neuen Regionalplan kommen weitere mögliche Gewerbegebiete hinzu, über die in der Bürgerschaft kaum etwas bekannt ist.

Damit sich Bürgerinnen und Bürger im Süden ein Bild über die entsprechenden Planungen machen können, fordern wir in diesem Verfahren die Vorlage eine Übersichtskarte mit allen Planungsvorhaben in den südlichen Stadtbezirken (stadtgrenzenübergreifend).

Leider wurde die Aufstellung dieses Bebauungsplanes für ein neues Gewerbegebiet bereits auf den Weg gebracht, ohne dass den Bürger*innen dieser Gesamtzusammenhang vorgestellt wurde. Daher muss unseres Erachtens diese erste Bürger*innenanhörung mit Vorstellung der regionalen Planungssituation – mit Daten des gültigen und des im Entwurf vorliegenden neuen Regionalplans - transparent dargestellt werden. Luftströme, Wasser, Abwasser, und Verkehre enden nicht an der Stadtgrenze. Es geht um Regionalplanung.

Nutzung vorhandener versiegelter Gewerbeflächen vor Neuerschließung im Freiraum

Die Sanierung von nicht genutzten, aber bereits versiegelten Flächen sowie die Innenraumentwicklung für benötigte Baugebiete muss aus unserer Sicht Vorrang vor weiteren Flächenverbrauch im Außenbereich haben. Es gibt in Senne, Brackwede und im gesamten Stadtgebiet Bielefelds noch viele versiegelte, ungenutzte Gewerbeflächen, die über ein Flächenmanagement verwaltet und vorrangig genutzt werden müssten.

Für den Schutz des Gebiets und gegen ein neues Gewerbegebiet engagiert sich die „Bürgerinitiative LEBENSRAUM SENNE“, in der auch viele unmittelbar betroffene Anwohner mitarbeiten. In einem Offenen Brief an die Stadt appellieren sie an Politik und Verwaltung: „Stoppen Sie die Planung des Gewerbegebietes JETZT und bewahren Sie 12 ha Landschaftsschutzgebiet dauerhaft für uns und für unsere nachfolgenden Generationen.“ Die Natur- und Umweltschutzverbände unterstützen dieses Engagement und fordert den Rat der Stadt auf, die Bedenken der Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen.

In Anbetracht der Klimakrise mit aktuellen katastrophalen Auswirkungen wie z.B. in den Hochwassergebieten im Ahrtal oder dem großflächigen Baumsterben muss SOFORT ein Umdenken erfolgen, so die Bürgerinitiative in ihrem Offenen Brief. „Natur braucht Raum. Tiere und Pflanzen brauchen Rückzugsgebiete, in denen sie ungestört leben können. Und Menschen brauchen Orte, an denen sie Natur in Ruhe genießen und erleben können.“

 

 

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