Bielefeld, 24.10.2022 | Die für den 24. und 25. Oktober in Bielefeld angesetzten Erörterungstermine zum neuen Regionalplan werden die Bielefelder Natur- und Umweltschutzverbände boykottieren. In einer gemeinsamen Erklärung begründen die Verbände NABU, Pro Grün, BUND und Naturwissenschaftlicher Verein diesen Schritt. Entsetzt sind die Umweltverbände darüber, wie mit ihren im letzten Jahr eingebrachten Stellungnahmen umgegangen wurde. Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verbände hätten zu über 80 Einzelflächen in der Stadt Anregungen vorgetragen und mit fundierten Daten belegt. Bei über 90 % dieser Flächen seien die Anregungen und Bedenken jetzt pauschal mit dem Hinweis „Der Anregung wird nicht gefolgt“ zurückgewiesen worden.
„Dass jetzt jede Diskussion über konkrete Anregungen bzw. Flächen auf den Erörterungsterminen kategorisch ausgeschlossen werden soll, macht diese Termine zu einer Farce“, erklärt dazu der NABU-Vorsitzende Dr. Jürgen Albrecht. Und für den BUND ergänzt Adalbert Niemeyer-Lüllwitz: „Wie die Regionalplanungsbehörde mit den Einwänden der Naturschutzverbände umgeht, nahezu alle ernsthaft vorgetragenen Bedenken in den Papierkorb wirft, das hat mit einem demokratischen Beteiligungsverfahren nichts mehr zu tun“.
In 32 Fällen sei die begründete Zurücknahme von neuen Siedlungsbereichen (ASB) abgelehnt worden. Danach soll zum Beispiel an möglichen Bebauungen im Bereich Schlosshofbach, Weser-Lutter und anderen bedeutenden Grünzügen in der Stadt festgehalten werden, obwohl auch der Rat der Stadt den Schutz dieser Grünzüge vor Bebauung gefordert hat. An der Bebauung von über 100 Hektar Freifläche im Bereich „Poggenpohl“ nahe dem Babenhauser Bach nördlich der Uni soll zum Beispiel entgegen dem Ratsbeschluss festgehalten werden. „Die Regionalplanungsbehörde entscheidet so für weiteren ungebremsten Flächenfraß und gegen den Naturschutz, als wenn es Klimakrise und Artensterben nicht geben würde“, erklärt dazu der Vorsitzende von Pro Grün Prof. Dr. Tilman Rhode-Jüchtern.
Mit 18 konkreten Vorschlägen wollten die Verbände dazu beigetragen, das Netz der Grünzüge und Schutzgebiete zu sichern und zu verbessern. Diese Vorschläge seien - abgesehen von dem politisch unstreitigen Schutz der Johannisbachaue - alle abgelehnt wurden. Die Vorsitzende des Naturwissenschaftlichen Vereins, Claudia Quirini-Jürgens, sieht darin eine „beispiellose Ignoranz der Bezirksplanungsbehörde gegenüber den Belangen des Natur- und Artenschutzes“.
Mit der Ablehnung einer konkreten Erörterung von berechtigten Einwänden und Anregungen würde auch der gesetzliche Auftrag, in der Erörterung einen Ausgleich der Meinungen anzustreben, unterlaufen. Wenn Regionalrat und Bezirksregierung an einem Konsens interessiert sind, müsse das Verfahren geändert werden. Die Verbände fordern deshalb Regierungspräsidentin Bölling auf, diese aus ihrer Sicht „dramatische planerische und verfahrensmäßige Fehlentwicklung“ zu korrigieren und eine inhaltliche Erörterung aller Einwände zu ermöglichen. „Dieser Regionalplanentwurf gehört angesichts der Klima- und Biodiversitätskrise grundsätzlich auf den Prüfstand“, fordern die Bielefelder Umweltverbände gemeinsam mit ihren zahlreichen Partnern in OWL. Würde dieser Regionalplan so beschlossen, gingen weitere Hunderte von Hektar ökologisch wertvoller Freiflächen künftig für den Schutz von Flora und Fauna verloren. Sogar bisher als „Bereiche zum Schutz der Natur“ gesicherte Flächen würden gestrichen. Stattdessen weitere rund 12.000 Hektar für Bebauungen vorzusehen, sei in Anbetracht des Artensterbens und der Klimakrise eine fatale Fehlentscheidung der Regionalplaner*innen, so die Naturschutzverbände zur Begründung ihres Protestes.
12.000 Hektar würde die Neuerrichtung von 360.000 bis 500.000 neuer Wohneinheiten je nach Dichte der Bebauung ermöglichen. Das ist bei insgesamt 952.000 Wohneinheiten im Bestand ein Potenzial, welches deutlich über den tatsächlichen Bedarfen zu Lasten des Klima- und Naturschutzes festgelegt werden soll. Das widerspricht auch dem Ziel des Landes NRW, den Flächenverbrauch im Sinne des Klimaschutzes auf maximal 5 Hektar täglich und langfristig auf Netto Null zu reduzieren. Das bedeutet übertragen auf OWL maximal 1 Hektar täglich bzw. am Ende des Planungszeitraum Null ha täglich. Wird der Regionalplanentwurf in diesem Sinne korrigiert, werden Erörterungen auch zu den detaillierten Flächen ermöglicht, sind die Verbände gerne bereit, sich daran zu beteiligen.